Der Kongress von 1912
Mit dem Ausserordentlichen Sozialistenkongress von 1912 wollten die in Basel versammelten Sozialistinnen und Sozialisten ihren Friedenswillen und ihre Bereitschaft, mit allen Mitteln den Krieg zu verhindern, gegenüber der Öffentlichkeit demonstrieren. Der Kongress fand vor dem Hintergrund der Balkankriege 1912/13 und der wachsenden Furcht vor einer militärischen Auseinandersetzung der Grossmächte in Europa statt.
Nicht nur die große Zahl der über 555 Delegierten aus 23 Ländern war beeindruckend, sondern auch die Resonanz der Veranstaltung weit über die Grenzen von Basel hinaus. Die geschickte Inszenierung des Kongresses, der Friedensmarsch durch die Basler Innenstadt, die Ansprachen bedeutender Sozialisten wie Jean Jaurès und Victor Adler anlässlich einer öffentlichen Veranstaltung im Münster und die Verabschiedung des Basler Friedensmanifests hinterließen in ganz Europa einen gewaltigen Eindruck. Mit dem Thema der Kriegsprävention erhielt die Internationale eine zündende und aktuelle Zielsetzung, die zu einer intensiveren internationalen Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien führte. Mittels großer, international angelegter Demonstrationen gegen den Krieg wurde der internationale Gedanke belebt und in breitere Kreise der sozialistischen Bewegung hinein getragen.
Trotz innerer Spannungen präsentierten sich die europäischen Sozialisten in Basel nach aussen als eine geschlossene Bewegung des Friedens. Der Basler Friedenskongress markiert damit zweifelsohne einen Höhepunkt der Arbeit der Zweiten Internationale, die zwei Jahre später angesichts des beginnenden Ersten Weltkriegs wieder zerfiel.
Der Basler Friedenskongress von 1912 ging nicht nur als herausragendes Ereignis in die Geschichte der Internationale ein. Gleichzeitig kann er neben dem Basler Konzil von 1431 bis 1448, dem Basler Frieden von 1795 und dem Zionistenkongress von 1897 als eines der grossen internationalen Ereignisse der Basler Stadtgeschichte angesehen werden. Basel wurde nicht zufällig als Konferenzort ausgewählt. 1869 hatte hier bereits der 4. Kongress der Ersten Internationale stattgefunden. Die Basler Arbeiterbewegung befand sich seit der Jahrhundertwende im Aufschwung; die Sozialdemokraten stellten die stärkste Fraktion im Grossen Rat und waren im Regierungsrat vertreten. Darüber hinaus spielte die Neutralität der Schweiz für die Wahl Basels eine wichtige Rolle. Während des Friedenskongresses der Internationale rückte Basel für zwei Tage ins Zentrum der Weltöffentlichkeit. An zwei Tagen trafen sich hier die bedeutendsten Vertreter der sozialistischen Bewegung aus fast allen europäischen Staaten. Über den Basler Friedensmarsch am 24. November 1912, an dem sich über 10'000 Personen aus der ganzen Schweiz sowie aus dem benachbarten Elsass und Baden beteiligten, wurde in zahlreichen nationalen und internationalen Zeitungen berichtetet. Die Veranstaltung fand dabei nicht nur in sozialistischen Kreisen, sondern auch im bürgerlichen Lager grossen Widerhall. Vor allem in der ausländischen Berichterstattung wurde – zum Teil mit Erstaunen – hervorgehoben, dass das Basler Münster für die Versammlung der sozialistischen Delegierten seine Tore geöffnet hatte und dass die Veranstaltung mit einem Grusswort der Kantonsregierung eröffnet worden war.
Bis heute sind die in Basel 1912 verhandelten Fragen aktuell. Nach wie vor geht es darum, die Ursachen von Kriegen zu suchen und zu bekämpfen. Konflikte um Rohstoffe und Märkte, Rüstungsinteressen oder nationalistische Bestrebungen um Territorialgewinne drohen auch in der Gegenwart, in Kriege umzuschlagen. Die internationale Friedens- und Konfliktforschung hat verschiedene Strategiemodelle entwickelt, wie auf friedlichem Wege Streitfragen gelöst werden können. Einige sind in die politischen Diskussionen eingeflossen, zumal militärische Interventionen mit der Absicht, einen dauerhaften Frieden zu ermöglichen, weitgehend gescheitert sind (Südosteuropa, Irak, Afghanistan). Immer mehr setzen internationale politische Institutionen auf Formen der friedlichen Konfliktprävention. Eine Auswertung der Erfahrungen, die mit dem Basler Friedenskongress zusammenhängen, ist deshalb auch für die Erarbeitung von Konzepten zur Kriegsverhinderung und Friedenssicherung in der Gegenwart von hohem Wert.